Zum Jahresende 2024 wurden neue Zahlen zu Staatenlosigkeit in Deutschland veröffentlicht. Zum ersten Mal seit 2022 ist die Zahl der betroffenen Menschen gesunken. Das ist ein bemerkenswertes Signal – doch die Zahlen werfen auch neue Fragen auf. Wir haben für euch die wichtigsten Zahlen zusammengefasst und daraus einige Ableitungen getroffen.
Ein Blick auf die Entwicklung
Ende 2024 lebten in Deutschland rund 123.500 Menschen ohne anerkannte Staatsangehörigkeit. Im Vergleich zu 2023 (125.755) ist das ein Rückgang um etwa 2.500 Personen.
Von diesen 123.500 sind 28.815 offiziell als staatenlos anerkannt, während 94.715 unter der Kategorie „ungeklärte Staatsangehörigkeit / ohne Angabe“ geführt werden.
Besonders betroffen sind junge Menschen: Insgesamt leben 45.665 Minderjährige ohne Staatsangehörigkeit in Deutschland. Rund 70 Prozent von ihnen sind hier geboren. Das zeigt, wie sehr das Problem auch die zweite Generation betrifft.
Einbürgerungen auf Rekordniveau
Ein Grund für den Rückgang sind die gestiegenen Einbürgerungszahlen:
2024 wurden 5.960 Personen ohne anerkannte Staatsangehörigkeit eingebürgert - weit mehr als in den Jahren davor. Zum Vergleich: 2023 waren es 5.140, 2022 nur 3.740.
Auch viele Minderjährige wurden eingebürgert, darunter über 2.000 Kinder und Jugendliche, die zuvor als staatenlos registriert waren.
Aber: Was ist darüber hinaus passiert?
Eine klare Bilanz lässt sich nicht allein durch Einbürgerungen ziehen. 2024 gab es 11.740 Abgänge staatenloser Personen aus dem Ausländerzentralregister. Nur ein Bruchteil davon durch Tod. Die meisten Abgänge erfolgten durch sogenannte Tilgungen – also Löschungen oder Korrekturen im Register. Dahinter können fehlerhafte Registrierungen stecken, aber auch Zuschreibungen von Nationalitäten, die faktisch nicht zutreffen. Möglich sind außerdem Ausweisungen oder Fortzüge.
Das wirft eine wichtige Frage auf: Spiegelt der Rückgang tatsächlich eine Verbesserung für Staatenlose wider – oder handelt es sich vor allem um eine statistische Umverteilung in andere Kategorien?
Ein ermutigendes Signal – und gleichzeitig ein Warnruf
Positiv ist: Seit Jahren sehen wir zum ersten Mal, dass die Zahl der Staatenlosen in Deutschland sinkt. Das zeigt, dass sich Verwaltung und Politik zunehmend mit Staatenlosigkeit beschäftigen – und es ist auch ein Hinweis darauf, dass unsere Arbeit und die Arbeit unserer Partner*innen für mehr Sichtbarkeit sorgt.
Aber: 70 Prozent der Kinder ohne Staatsangehörigkeit sind in Deutschland geboren. Sie starten ihr Leben hier ohne rechtlich gesicherte Zugehörigkeit. Solange es kein geregeltes Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit gibt, bleibt die Situation für sie und ihre Familien prekär.
Was wir daraus ableiten
Die aktuellen Zahlen sind ermutigend, aber sie bleiben schwer zu interpretieren. Klar ist:
- Einbürgerungen nehmen zu – das ist ein Fortschritt.
- Der Rückgang der Gesamtzahlen wirft Fragen auf – insbesondere zu „Tilgungen“ und unklaren Kategorisierungen.
- Für Kinder und Jugendliche bleibt die Lage alarmierend.
- Eure Mitarbeit in Bereichen der Sichtbarmachung von Staatenlosigkeit ist wichtiger denn je, denn: Wir wollen den Rückgang der Zahlen, das Momentum und die teilweisen Erfolge für uns als Rückenwind nutzen. Nur zusammen können wir laut sein.
Außerdem: Neben den offiziell ausgewiesenen Kategorien „staatenlos“ und „ungeklärt/ohne Angabe“ existieren im Datenbestand von Destatis noch weitere Kategorien. Dazu zählen z. B. „Palästinensische Gebiete“ (in Deutschland wird Palästina als Nation nicht anerkannt), sowie Altkategorien, wie z.B. „Sowjetunion“ und „Jugoslawien“ (Sozialistische Föderative Republik bis 1992 bzw. Bundesrepublik bis 2003). Unter diesen Einträgen finden sich rund 30.000 Personen, die entweder, zusätzlich zu den erhobenen offiziellen Zahlen, staatenlos sind oder ein erhöhtes Risiko tragen, staatenlos zu werden.
Mit unserer Arbeit in den letzten Jahren haben wir diese Altkategorien immer wieder sichtbar gemacht. Sie zeigen ein weiteres Problem der aktuellen statistischen Erfassung: Viele Betroffene verschwinden in Sammelkategorien, die historisch überholt sind und keine reale Staatsangehörigkeit mehr abbilden. Damit wird Staatenlosigkeit auch hier unsichtbar gemacht – ein weiterer Hinweis darauf, wie dringend ein geregeltes Feststellungsverfahren gebraucht wird.
Unsere Forderung bleibt deshalb deutlich:
Deutschland braucht endlich ein geregeltes Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Zugehörigkeit von Menschen nicht von statistischen Kategorien abhängt, sondern von klaren, fairen und transparenten Regeln.


