How to – Politics? Wie Statefree politisch Einfluss nimmt

  • 31 May 2023
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How to – Politics? Wie Statefree politisch Einfluss nimmt
  • Statefree Team
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Petitionen und offene Briefe, Demonstrationen und Kundgebungen, Gespräche mit Politiker*innen in Abgeordnetenbüros oder auf Stadtfesten – Bürger*innen haben vielfältige und auch parteiunabhängige Möglichkeiten, ihre eigenen Positionen zu politischen Fragen an die Gesetzgeber*innen heranzutragen. Organisiert in zivilgesellschaftlichen Organisationen haben sie allerdings eine zusätzliche Möglichkeit, die oftmals unbeachtet bleibt – die Stellungnahme.

„Wir schaffen ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Dafür werden wir die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen“ – so steht es im Koalitionsvertrag. Nach Veröffentlichung des Entwurfs im November 2022 wissen wir: Während Einbürgerung und Mehrstaatlichkeit für Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit erleichtert werden sollen, bleiben Staatenlose erneut unbedacht. Dabei ist seit einer neuen Studie klar, dass die Zahl staatenloser Menschen kontinuierlich wächst, und wir wissen: Lösungen für die Probleme, die Staatenlosigkeit mit sich bringt, sind möglich.

Genau deshalb wollen wir über eine Stellungnahme unsere Expertise in den Entwurf einbringen. Aber was genau ist eine Stellungnahme eigentlich?

Ganz grundsätzlich: Im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens gibt es ganz verschiedene festgeschriebene Abläufe, um Betroffene einzubeziehen. Das geschieht in unterschiedlichen Stadien und in verschiedenen Formaten, beispielsweise während einer Bürger*innenkonsultation oder Verbändeanhörung, in Expert*innengesprächen und in Arbeitsgruppen. Oder eben auch: Über eine Stellungnahme. 

Eine Behörde bittet dabei verschiedene, für das jeweilige Gesetz relevante Verbände um ihre Position. Die Verbände analysieren und bewerten dann den Gesetzesentwurf und erlauben somit dem federführenden Bundesministerium, falsche Annahmen zur Sachlage zu korrigieren oder mögliche Widerstände gegen den Gesetzesentwurf frühzeitig zu erkennen.

Unser Weg für eine Repräsentanz der Anliegen von staatenlosen Menschen im Staatsangehörigkeitsrecht führt also unter anderem über die Stellungnahme.

Fragt sich nur: Wann genau kommt eine Stellungnahme zum Zug?

Wer kurz einen Einblick haben will, wie eigentlich ein Gesetz entsteht, kann dieses Video ansehen. Die Kurzfassung ist: 

  1. Initiative: Erst braucht es eine Idee für ein Gesetz. Die kommt meistens von der Bundesregierung (nur Kanzler*in und das zugehöriges Kabinett mit Minister*innen),  manchmal auch vom Bundestag, also dem gesamten Parlament, oder vom Bundesrat, also den Ländern.
    1. Ganz am Anfang eines Gesetzes durchläuft die Idee bereits mehrere Prüfstellen und wird zuerst zum Referentenentwurf. Dieser Gesetzesvorschlag ist der, den Verbände in ihren Stellungnahmen analysieren. Statefree kann also noch ganz zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens eigene Expertise einbringen und Verbesserung vorschlagen.
    2. Wird der Referentenentwurf schließlich in seiner neuesten Fassung – nach Kritik der Verbände und möglichen Änderungen – von der Regierung beschlossen, geht er als Regierungsentwurf in die nächste Runde.
  2. Beratung: Der Regierungsentwurf wird dann erst einmal in mehreren Lesungen vom Bundestag diskutiert. Nach der ersten Lesung finden spezielle Fachgruppen zusammen (Ausschüsse), um Einzelheiten zu beraten. Auch hier können externe Expert*innen eingeladen werden. In der zweiten Sitzung werden dann die Ergebnisse dieser Sitzungen vorgestellt und Änderungen vorgeschlagen.
  3. Beschluss: Die dritte Sitzung gilt den letzten Beratungen, aber auch der Schlussabstimmung. In der Regel reicht die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten, um ein Gesetz zu verabschieden; bei Verfassungsänderungen braucht es aber z.B. ⅔ aller Abgeordneten.
  4. Bundesrat: Nach der Zustimmung des Bundestags kommt ein Gesetzesentwurf zum Bundesrat. Sollte er nicht einverstanden sein, kann er manchmal das Gesetz kippen (sog. „Zustimmungsgesetze“), ansonsten nur Bedenken äußern (sog. „Einspruchsgesetze“).
  5. Inkrafttreten: Hat es der Gesetzesentwurf durch den Prozess geschafft, wird er von Kanzler*in und zuständiger Ministerin bzw. zuständigem Minister unterzeichnet. Zuletzt prüft und unterzeichnet den Entwurf noch der Bundespräsident – und macht ihn zum Gesetz.

Da die Prozesse rund um ein Gesetzgebungsverfahren und die Stellungnahme recht komplex sind, haben wir Denis Neselovskyi, Jurist und Statefree-Mitglied, gebeten, uns einiges kurz zu erklären.

Hey Denis, wie gelangt jemand an die nötigen Informationen, um zu einem Gesetzgebungsverfahren beizutragen und eigene Forderungen wirksam zu machen?

Die Bundesregierung bemüht sich, Informationen zum Gesetzgebungsverfahren und der Bürgerbeteiligung öffentlich zu machen und die Transparenz zu erhöhen. Trotzdem ist es schwer, konkrete Informationen zu den Verfahren und Möglichkeiten der Beteiligung selbstständig zu finden. 

Um eine Meinung und Forderung zu äußern und Fragen zu stellen, muss der Kontakt mit den zuständigen Ministerien und Politiker*innen aufgenommen werden, zum Beispiel auch über das Portal Fragdenstaat. Einzelne Gesetzgebungsverfahren sollen auch im Internet nachvollziehbar sein, zum Beispiel durch Informationen, wann der Gesetzesentwurf veröffentlicht oder im Bundestag bearbeitet wird. Die Möglichkeiten und Formen der Bürgerbeteiligung sowie öffentlich zugängliche Informationen zur Verbändebeteiligung sind dabei vielfältig.

Was sind die größten Herausforderungen?

Eine der größten Herausforderungen ist es, Sichtweisen und Lösungen, die von den Parteien nicht von Beginn an mitbedacht wurden, in ein Verfahren und einen Gesetzestext einzubringen. Die von Verbänden eingebrachten Schwerpunkte sind oftmals nicht die Priorität der Gesetzgeber*innen, da die Themen nicht umfassend im Koalitionsvertrag oder auf andere Art berücksichtigt wurden. Die Herausforderung ist es, umsetzbare und notwendige Lösungen in laufende Projekte einzubringen und die Arbeit der Gesetzgeber*innen zu ergänzen und zu bereichern: Also konkrete Vorschläge zu formulieren und gleichzeitig so zu arbeiten, dass existierende Regelungen sowie das geplante Vorhaben berücksichtigt werden.

Gleichzeitig muss die Dringlichkeit der Probleme und die Notwendigkeit neuer Lösungen immer wieder betont werden. Gesetzgebungsentwürfe bergen ja auch viel Potential für den besseren Umgang und die Regelung bestimmter Anliegen, denen die Verbände trotz notwendiger Beharrlichkeit nicht den Wind aus den Segeln nehmen wollen.

Was ist deiner Ansicht nach besonders interessant in diesem Prozess? 

Ich finde, dass vor allem politische Teilhabe und das Mitspracherecht von Betroffenen und der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Beides kann durch inklusive, kooperative  politische Arbeit gestärkt werden. Arbeit also, die sich an der Community ausrichtet und auf ihr basiert. Auch politische Arbeit als Nicht-Regierungsorganisation, also NGO, finde ich besonders spannend – die Rolle von Organisationen beim Schutz der Menschenrechte und die Zusammenarbeit mit Regierungen. Letztlich entsteht durch NGOs eine Brücke zwischen Politik und Gesellschaft.

Für Statefree sehe ich ganz konkret das Potenzial, sich politisch zu beteiligen, indem die Forderung von staatenlosen Personen in Deutschland eingebracht werden – um damit Staatenlosigkeit bei Kindern zu beseitigen, Schwachstellen und Probleme, die Jahrzehnte lang existiert haben, zu bearbeiten und an Lösungen mitzuwirken.

Wie ist es für dich als Jurist, daran zu arbeiten? 

Mein großes Ziel ist im Grunde, eine strukturelle oder systemische Veränderung zu bewirken, also mit Gesetzesänderungen zu besserem Schutz von Menschenrechten zu gelangen. Es ist spannend und herausfordernd, das internationale Menschenrecht umzusetzen, indem der nationale Schutz der Menschenrechte verbessert wird – also Arbeit im Kleineren, um das größere Ganze zu erreichen. Etwa zu beobachten, wie Deutschland Menschenrechte (nicht) umsetzt und (nicht) schützt: zu analysieren und zu bewerten, wo und warum es nicht ganz klappt und sich wiederum konkrete Lösungen zu überlegen und zu erarbeiten, um Lücken zu schließen und es in Zukunft besser zu machen.

Was findest du besonders spannend und was treibt dich an? 

Den Austausch mit allen Expert*innen zu dem Thema, die Positionierung für und gegen bestimmte Ansichten, das Schreiben von Berichten und Forderungen, die Zusammenstellung von Informationen, aber auch die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Situation – der Rechtslage, die es jetzt gibt, und der Vorstellung, was und wie es besser sein kann. Genauso treibt mich die Frage an, warum es anders werden muss und wie der Prozess dahin aussehen kann, bzw. wie wir den Prozess und die Veränderung mitgestalten können.

Und mich motiviert auch die Möglichkeit, konkret zu helfen, die Rechte von Individuen zu schützen und dabei sowohl die Interessen des Staates, der Gesellschaft allgemein als auch der Betroffenen zu beachten, weil der Schutz von Menschenrechten letztlich nur in diesem Miteinander funktioniert.


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Userlevel 4

Super hilfreiche Erklärung!💡

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